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Titel
Zwischen Bitten und Bestechen. Ambitus in der politischen Kultur der römischen Republik – der Fall des Cn. Plancius


Autor(en)
Karataş, Sema
Reihe
Zeitschrift für klassische Philologie. Einzelschriften 115
Erschienen
Stuttgart 2019: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
328 S.
Preis
€ 55,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Lukas Horneff, SFB 1285, TU Dresden

„Die Bewerbung um die Wahlstimmen […] ist im republikanischen Gemeinwesen ein nothwendiges Element, aber auch ein nothwendiges Uebel.“ Mit dieser Einleitung seiner Ausführungen zum ambitus macht Theodor Mommsen (Römisches Strafrecht S. 865) auf die grundsätzliche Ambivalenz der bei der Wahlwerbung angestrebten Herstellung von Nähe aufmerksam, die sich auch heute noch im Diskurs über volksnahe demokratische Vertretung und Populismus spiegelt. In der römischen Republik kollidierte diese Nähe mit dem aristokratischen Herrschaftsverständnis einer Elite, die als Gegenleistung für Wahlunterstützung zwar keine Repräsentation, dafür aber Patronage, euergetische Aufwendungen und Zugang bieten musste. Welche Praktiken dabei angemessen waren, was gesetzlich verboten werden sollte und, nicht zuletzt, auf welche Weise die Strafverfolgung zu geschehen hatte, beschäftigte die römische Politik kontinuierlich und unterlag ständigen Veränderungen. Sich diesem komplexen Phänomen von allen Seiten zu nähern und dabei Rechts- und Begriffsgeschichte des ambitus in der Römischen Republik aufzuarbeiten, ist das Unterfangen der hier besprochenen Studie von Sema Karataş.

In ihrem einleitenden ersten Kapitel (S. 9–21) behandelt sie die Bedeutung der Wahlwerbung und ihrer Regulierung für die politische Konkurrenz in der römischen Republik. Als grundlegendes Problem der Identifizierung von ambitus benennt sie die „perspektivische Asymmetrie“, die sich daraus ergibt, dass weder intensive Wahlwerbung noch Wahlgeschenke per se illegal waren, sondern vielmehr allgemein erwartet wurden. Zwischen erwünschten, erlaubten, missbilligten und illegalen Handlungen zu unterscheiden heißt daher zumeist, den verschiedenen Akteursperspektiven zu folgen, die verständlicherweise das eigene Handeln als richtig und das gegnerische als falsch bewerten (S. 10–11). In der darauffolgenden Einordnung in die politischen Strukturen Roms benennt Karataş die zentralen Charakteristika der politischen Ordnung, die dafür verantwortlich sind, dass trotz verhältnismäßig intensiver Regulierungsbestrebungen keine klare Rechtslage entstehen konnte: das Spannungsverhältnis zwischen normativen Idealen und gesellschaftlich erwarteter Praxis einerseits, die Komplexität der sozialen Bindungen (hoher Grad an innerelitärer Integration, Patronagesystem etc.) andererseits, sowie der nur durch einen Sieg refinanzierbare enorme Einsatz von ökonomischem, sozialem und symbolischem Kapital (S. 12–14). Der zweite Teil des Kapitels (S. 17–21) bietet eine konzise Darstellung des Vorgehens der Studie, welche die wesentlichen Erkenntnisse und Deutungen bereits vorwegnimmt.

Das zweite Kapitel (S. 25–59), das sich (im Gegensatz zum Rest der Studie) ganz dem ambitus widmet, beginnt mit einer begriffsgeschichtlichen Aufarbeitung der Unterscheidung zwischen legitimer und oftmals sogar positiv belegter ambitio, dem notwendigen Streben nach einem Wahlsieg, und ambitus. Weil nicht mehr sicher feststellbar ist, wann ambitus seine klar negative Konnotation erhielt und gleichzeitig der Umfang des Straftatbestandes einer ständigen Veränderung unterlag, will Karataş es sich mit einer republikanischen Definition hier nicht leicht machen und vermeidet die übliche Feststellung, dass ambitus den Wahlkampf mit gesetzeswidrigen Mittel bezeichnet.1 Zwar liest auch sie Varro (ling. 5.28) im üblichen Sinne, stellt dann aber fest, dass Livius in seiner Behandlung der lex Poetelia de ambitu (VII.15.12–13) unter ambitus „lediglich eine Form der übersteigerten ambitio“ verstehe (S. 26). Weshalb daraus nicht gleichzeitig (genauer: zwangsläufig) resultieren sollte, dass ebendieses Übermaß an ambitio (also der ambitus) gerade durch dieses Gesetz illegal wurde, bleibt unverständlich und wirkt sich leider auch auf die Eleganz ihres ambitus-Begriffs aus (siehe unten). Umso überzeugender und klarer in seinen Feststellungen ist dagegen der zweite Teil des Kapitels (S. 28–48), in dem Karataş die den Wahlkampf regulierende Gesetzgebung (also auch die leges sumptuariae und tabellariae) bis zur lex Tullia de ambitu aufarbeitet und es dabei geschickt versteht, ihre weitestgehend mit der bisherigen Forschung übereinstimmenden Bewertungen mit dem eingangs ausgeführten Verständnis der politischen Ordnung in Einklang zu bringen. Der Rest des Kapitels (S. 48–59) ist der Entwicklung nach 67 v. Chr. gewidmet, in der Karataş eine signifikante Verdichtung und Verschärfung sowohl der Gesetzgebung als auch der Strafverfolgung aufzeigt. Als Grundmotivation dieser Phase macht sie aus, „exzessive finanzielle Aufwendungen, geheime Abkommen und [...] Wahlkampagnen über die eigenen tribus hinaus“ zu verhindern und gleichzeitig den Fortbestand der traditionellen Praktiken aristokratischer Einflussnahme zu sichern (S. 51).

Mit dem dritten Kapitel (S. 60–103) wendet sich Karataş ganz dem Strafverfahren und der lex Licinia de sodaliciis (55 v. Chr.) zu. Dabei erörtert sie, wie das Gesetz des Crassus, ohne den eigentlichen Straftatbestand substantiell zu verändern, die zuvor weitestgehend auf die Beziehung von candidatus und Wähler beschränkte Strafverfolgung auf die sodalicia ausweitet, die sie nach klassischer Lesart als Wahl(bestechungs)vereine auffasst.2 Der größte Teil des Kapitels beschäftigt sich schließlich mit der Prozessordnung und Gerichtszusammensetzung, die präzise aufgearbeitet werden. Dabei betont Karataş insbesondere die größere Freiheit der Anklage bei der Richterauswahl und die integrative Wirkung der damit einhergehenden Ausweitung auf die als Richter in Frage kommenden Ritter und Aerartribune (S. 93).

Noch tiefer in die Materie der Gerichtszusammensetzung und der lex Licinia entführt schließlich, über den Umweg der lex Aurelia (70 v. Chr.), das vierte Kapitel (S. 104–129), mit dem es Karataş schließlich gelingt, den Bogen zum ambitus zu schlagen (S. 129): „Ihre Bestimmungen zielten in letzter Konsequenz auf illegale Wahlkampfmethoden des ambitus, die speziell mit Hilfe von sodalicia in den tribus organisiert wurden […].“

Um den Zusammenhang von ambitus und organisierter politischer Gewalt dreht sich das den ersten Teil der Studie abschließende fünfte Kapitel (S. 130–145). Hier befasst sich Karataş insbesondere mit der (erstaunlich) parallelen Entwicklung und Anwendung der Strafverfolgung de vi und de ambitu (S. 134–136; S. 144–145). Dabei wird auch die soziale und politische Bedeutung der collegia näher beleuchtet, ohne, dass jedoch der Zusammenhang mit ambitus außerhalb der Kapitelüberschrift „Nährboden gewalttätiger Aktionen für ambitus“ hergestellt wird (S. 136–140).

Den zweiten Teil der Studie eröffnet ein historisch kritischer Kommentar zur gesamten Rede pro Plancio (S. 149–284). Der Rede in typischem Kommentarstil paragraphenweise folgend werden dabei die im ersten Teil der Studie angeführten Aspekte in die argumentative und rhetorische Strategie Ciceros eingeordnet. Die anschließende Zusammenfassung greift die zentralen Erkenntnisse des ersten Teils (in den sie besser gepasst hätte) nochmals auf und ordnet diese überzeugend in die größeren Zusammenhänge der ausgehenden Republik ein (S. 285–292). Die beigefügten Appendices (S. 293–297) bestehen aus einer Liste der während des Plancius-Prozesses Anwesenden, einer besonders nützlichen Aufstellung der Gerichtszusammensetzungen nach Gesetzen geordnet, einer Karte, welche die räumliche Einordnung der Planciana erlaubt, und zweier Listen der für die Arbeit relevanten Fälle mit Vermerk des jeweiligen Typus und Ausgangs.

Die Studie von Karataş besticht durch ihre sorgfältige Aufarbeitung einer hochkomplexen und meist durch die Quellenlage nur schwer zugänglichen Materie. Neben ihrer konzisen Behandlung des ambitus bietet sie dabei auch viele Anregungen und nützliche Pointierungen diverser offener Fragen bezüglich der sodalicia und der lex Licinia. Und nicht zuletzt der implementierte pro Plancio-Kommentar wird mit großer Sicherheit in der zukünftigen Diskussion Beachtung finden. Gleichzeitig offenbart diese Fülle an Themen, dass Titel und Inhalt eine gewisse Inkongruenz aufweisen. Ein Großteil der Studie ist nicht so sehr dem „Ambitus in der politischen Kultur“ wie der Strafverfolgung und Gerichtszusammensetzung gewidmet und die Fallstudie zu Plancius hätte statt mit einer Unterordnung suggerierenden Parenthese durch ein ehrlicheres „und“ angekündigt werden müssen, nimmt sie doch (nicht nur im zweiten Teil!) eine sehr dominante Rolle ein. Was die hervorragende Behandlung des ambitus in den ersten zwei Kapiteln betrifft, so wird diese lediglich durch die bereits angesprochene Zurückhaltung bei der Definition geschmälert, mit dem Resultat einer komplizierten Klammersetzung als „Bezeichnung für (illegale) Praktiken der Wahl(be)werbung“ (S. 10, 21, 291). Auch wenn es, wie Karataş unzweifelhaft nachweisen kann, zu keinem Zeitpunkt einen eindeutigen Katalog gab, was gerade im Wahlkampf legal war und was nicht, so sollte ambitus doch stets den illegalen Teil der Praktiken bezeichnen. Oder genauer: Der Straftatbestand ambitus umfasste die illegalen Praktiken im Wahlkampf, der ambitus-Vorwurf unterstellte die Illegalität des Handelns eines Gegners. Die hier auch von Karataş bestätigte Einschränkung, dass ambitus „tendenziell immer das, was die anderen taten“3, war und keine juristische Einschätzung der Legalität des jeweils besprochenen Handelns erlaubt, sollte sich nicht in der Definition von ambitus selbst niederschlagen. Auch die in der zweiten Klammersetzung angedeutete Differenzierung in Werbung und Bewerbung erschließt keine weitere Ebene und wirkt eher, als hätte Karataş sich zwischen zwei guten Formulierungen nicht entscheiden können. Beides mindert in keiner Weise den Wert der Studie und ist lediglich deshalb bedauerlich, weil eine griffigere Formulierung als künftige Standarddefinition aus dem neuen Standardwerk zum ambitus hätte dienen können.

Anmerkungen:
1 Vgl. bspw. M. Jehne, Die Beeinflussung von Entscheidungen durch „Bestechung“: Zur Funktion des ambitus in der römischen Republik, in: Ders. (Hrsg.), Demokratie in Rom? Die Rolle des Volkes in der Politik der Römischen Republik, Stuttgart 1995, S. 51–76, S. 51.
2 Hier vermisst man eine Replik auf die Dekonstruktion dieser Vorstellung durch W. Stroh, Die Lex Licinia de sodaliciis im Lichte von Ciceros Rede Pro Plancio, oder: Eine Studie zum Phantom der römischen Wahlvereine, in: U. Babusiaux / P. Nobel / J. Platschek (Hrsg.), Der Bürge einst und jetzt. FS für Alfons Bürge, Zürich / Basel / Genf 2017, S. 361–418, den Karataş zwar mehrfach anführt, ohne jedoch seine radikale These zu diskutieren.
3 Jehne 1995 (wie Anm. 1), S. 53.

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